Digitale Geschäftsplattformen als Produktionsgebäude: eine Systematik anhand der Haus-Analogie

Analogien hinken meist: „Software für Geschäftsprozesse ist wie ein Wirtschaftsgebäude“. Aber es ist genug Stimmiges daran, um sich daran klarzumachen – oder eher zu erspüren –, welches Architektur-Konzept für das eigene Unternehmen am geeignetsten ist.

Software-Lösungen, mit denen man Arbeitsprozesse im Unternehmen digital abbilden kann, unterscheiden sich ziemlich grundsätzlich in ihrer Konzeption und Bauart. Um diese Unterschiede verständlich zu machen, werden gern bildliche Analogien bemüht – eine gängige eben gerade von mir: daß Software in „Bauarten“ eingeteilt werden kann, ist eine Analogie zur Architektur von Gebäuden.

Im folgenden werde ich versuchen, architektonische Konzepte von Geschäftsprozess-Software anhand von übertriebenen Vergleichen mit Wirtschaftsgebäuden und -nutzungen plastischer greifbar zu machen. Die dabei entstehenden Bilder (Karikaturen?) sind, so hoffe ich, im Entscheidungsprozess für einen Lösungsweg bei der digitalen Transformation des Unternehmens hilfreich.

Die Analogie

Wer etwas produziert, braucht einen Produktionsstandort mit einem dafür hergerichteten oder eigens dafür gebauten Wirtschaftsgebäude – eine Werkstatt, ein Labor, ein Gewächshaus, eine Fabrik. Auch viele Dienstleistungen und nicht-physische Produkte sind nicht oder nur viel schwierige machbar ohne geeignete Räumlichkeiten – ein Frisiersalon, ein OP, der Newsroom einer Zeitung. Auch bevor Anlagen installiert und Geräte hineingetragen werden, kann man ein Stallgebäude leicht von einer Lagerhalle und einem Konzertsaal unterscheiden. Man kann in einem Stallgebäude ein Konzert geben und in einem Konzertsaal Hühner mästen, aber bei weitem nicht so gut wie in einem Gebäude, das dafür gebaut wurde.

Die Digitalisierung befreit uns von vielen Zwängen der physischen Welt. Kann man ein Laptop nicht überall aufklappen? Jedoch zieht der Bildschirmarbeiter gewissermaßen auch in digitale Immobilen ein. Der für ein Produkt oder eine Dienstleistung optimale digitale Arbeitsplatz besteht nicht nur aus einem ergonomischen Stuhl, Tisch und Beleuchtung, sondern mindestens ebenso in der richtigen Software-Umgebung. Diese muss, genau wie bei physischen Produktionsstätten, bereits auf der architektonischen Ebene zum Arbeitsprozess passen, bevor man „die Geräte hineinträgt“, also sich Gedanken über benötigte Software-Features macht.

Aber nun genug der Vorrede, viel Spaß bei den Hausbesichtigungen!


Begriff unklar? Alle in diesem Beitrag vorkommenden Fachausdrücke werden erläutert in unserem brandneuen White Paper No Code, Low Code, Pro Code? Wie Sie mit neuen Tools Ihre Geschäftsprozesse digital abbilden können.


Standardsoftware: Büroanwendungen

„Email/Excel/Word ist wie ein Hobbyraum im Einfamilienhaus“

Hobbyräume unterscheiden sich je nach Hobbies und Persönlichkeit des Besitzers. Manche ähneln einer Werkstatt, in manchen ist eine Eisenbahn aufgebaut, manche sind vor allem Abstellraum. Zum Malen gibt es nicht genug Tageslicht, beim ersten größeren Auftrag steht der Flur voller Kartons und man kommt weder rein noch raus, und wenn man im Hobbykeller Burger brät oder Hühner hält, stinkt das ganze Haus. Kein Kunde kommt vorbei. Und wenn doch, schämt man sich zu Tode. 

Aber billig ist das Ganze, denn das Zimmer ist ja sowieso da.

In einem Hobbyraum kann man so ziemlich alles machen – zu Anfang, irgendwie, im Hobby-Maßstab. Professionalisierung heißt Umzug in professionelle Räumlichkeiten.

Standardsoftware: Vertikale Spezialisten

„Branchensoftware ist wie eine Burgerketten-Filiale“

Wenn man Burger braten und verkaufen will, geht es nicht besser: optimal funktional im Mainstream-Chic. Die Filiale ist konkurrenzlos kostengünstig in der Herstellung, denn es gibt bereits tausende praktisch gleich aufgebaute Gebäude. Draußen ist eine Rampe für LKW-Anlieferung. Innerhalb des Gebäudes sind die Wege für Waren und Informationen kurz. Alles ist schön standardisiert.

Eine Burger-Bräterei für alles andere als Schnellimbiß nicht zu gebrauchen. Was tun mit der Bestell-Säule und den Schaltern und Fahrspuren für Drive-In? Dann reißt man lieber ab und baut ganz neu.

Sie wollen genau das eine machen, was viele andere genau so jetzt schon machen? Auch in 10 Jahren noch? Kostenmäßig mithalten zu können entscheidet über Sein oder Nicht-Sein? Dann ist dieses Architektur-Konzept Ihr Ding.

Standardsoftware: Generalisten

„Ein ERP-System ist wie ein Krankenhaus“

Für jedes medizinische Fachgebiet gibt es einen eigenen Trakt mit dem genau dafür benötigten allerneustem Stand der Technik, alles genügt den Bestimmungen. Der Besucher- und Patientenverkehr ist ebenso einheitlich geregelt wie die Material- und Informationsströme, nicht nur im Gebäude, sondern auch für Anlieferungen. Das Architekturbüro baut seit Jahren nur Kliniken und braucht kaum spezifischen Input, es setzt weitgehend ein bewährtes Schema um, was man dem seelenlosen Zweckbau trotz der Mosaik-Gebrauchskunst im Foyer und dem Springbrunnen im Innenhof auch ansieht.

Trotz der Standardisierung sind die Herstellungskosten überraschend hoch – jedenfalls im nachhinein: durch vermeintlich gar nicht so große Extra-Wünsche kommt es zu einer regelrechten Kostenexplosion. Leseemfehlung Handelsblatt: Wie SAP und Lidl Hunderte Millionen Euro versenkt haben, als sie von einem Architektenhaus in ein Systemhaus umziehen wollten.

Sie haben ein komplexes Produkt-Portfolio und sind darauf angewiesen, daß Lieferanten gemäß Branchenstandards angebunden sind und sich neue Mitarbeiter schnell zurechtfinden, weil alles so ist wie da, wo sie herkommen? Budget ist vorhanden? Dann ist das hier für Sie erwägenswert.

Standardsoftware: Stack horizontaler Spezialisten

„Integrierte SaaS-Apps sind wie eine Just-in-Time-Lieferkette“

Am schlanken Produktionsstandort gibt es eine Rampe für Anlieferung und Abholung und eine hochmoderne Montagehalle. Aber darum geht es hier nicht: die Teile, die für die Montage benötigt werden, kommen von verschiedenen Lieferanten. Die über die ganze Welt verstreuten Lieferanten verfügen Ihrerseits über hochmoderne, spezialisierte Anlagen, so ist jedenfalls zu vermuten, und sind so in der Lage, Qualität zu einem günstigen Preis termintreu zu liefern. Die Lieferanten arbeiten noch für viele andere Abnehmer und sind meist „große“ Unternehmen, d.h. man kommunizieren mit dem Vertrieb, nicht mit der Chefetage.

Wenn alles läuft, ist die Produktion unschlagbar günstig und schnell. Aber wenn auch nur einer der Teilehersteller Lieferschwierigkeiten hat oder es Engpässe bei den Logistik gibt (Verweis: Just in Time Prinzip), steht das Band. Was, wenn ein Lieferant die Produktion eines kritischen Teils ganz einstellt? Vielleicht sind manche Teile gar nicht so günstig, sondern wären bei der hohen Stückzahl viel kostengünstiger selbst herzustellen.

Sie haben Stützprozesse, die unkritisch genug sind, um sie externen Dienstleistern zu überlassen? Das Angebot externer Dienstleister reicht Ihnen aus? Dann sollten Sie sich vielleicht einen App-Zoo zulegen und in das Thema Integration einarbeiten.

Individualsoftware: No Code / Low Code

„Eine No Code App ist wie ein Lego-Haus“

Bei Burgerketten-Filialen und Kliniken beruht ein Gutteil der geringen Baukosten auf dem Einsatz von Fertigbauteilen. Was, wenn es Fertigbauteile wie riesige Lego-Steine gäbe, mit denen man selbst, ohne Kran und Fachausbildung, ein Haus bauen könnte, und wieder auseinander- und neu zusammenbauen, wenn man es sich anders überlegt hat? Jede Konstruktionsidee ist viel einfacher umzusetzen als mit anderen Baumaterialien: nichts zu mauern, kein Beton zu gießen, nichts zu fliesen, nichts anzustreichen.

Man wird dem Gebäude ansehen, daß es aus Bauklötzen zusammengesteckt ist, aber das muss im Vergleich zur Fertigbauweise nicht unbedingt schlechter aussehen und funktionieren. Lego ist ist wasserfest und erstaunlich belastbar, und wenn nicht so kugelsicher wie ein Haus aus Stein oder Beton, dann würde es doch ein Erdbeben wohl besser überstehen.

Sie wollen einen Prozess digital abbilden, der zu speziell für existierende Lösungen ist? Sie wollen über mehrere Orte verteilte einfache Prozesse zusammenführen, indem Sie sie in Lego nachbauen? Sie wollen ausprobieren, aber nicht zu viel ausgeben? Dann sollten Sie hier unbedingt etwas ausprobieren.

Individualsoftware: klassische Programmierung

„Eine eigene Software ist wie ein Sterne-Restaurant vom Architekten“

In diesem Gebäude wurden keine Kompromisse gemacht, sondern ein Statement. Hier gibt es keinen Fertigbauteil-Klon wie in der Burger-Bräterei, keine an Sonderwünsche angepassten Standard-Komponenten wie im Krankenhaus, hier gibt es kein Lego. Die optimale Funktionalität wurde mit Naturstein aus dem nahen Steinbruch von Hand gemauert, und auch die Ausstrahlung ist so, wie es sich für eine Spitzenmarke gehört. Der Besucher soll das Gebäude als Erlebnis wahrnehmen, es ist Teil der Markenidentität und integraler Teil des Produkts.

Es versteht sich von selbst, das so etwas seine Preis hat, aber je individueller die Anforderungen, desto eher ist das Architektenhaus auch kostengünstiger als der Versuch, sich dieselbe Funktionalität mit eigentlich nicht passenden Standardlösungen zusammenzuschustern. Auch wenn mit einem Baukastensystem dieselbe Funktionalität machbar ist, wird man mit einer maßgeschneiderten Lösung immer einen Unterschied machen können.

Schade nur, wenn das Budget oder der Mut nicht zum Star-Architekten gereicht hat. „Besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht“: dann ist das handgefertigte Ergebnis schnell schwächer als ein weise gewählter Fertigbau oder ein durch Ausprobieren optimierter Lego-Bau. Letzterer hat auch noch den Vorteil der Änderbarkeit, während die schönste und beste Konstruktion mit sich wandelnden Anforderungen unpraktisch werden kann. Häßliche, verwinkelte Anbauten, es hilft nur noch der Abriß.

Sie wissen, was Sie brauchen, weil Sie das mit Lego ausprobiert haben oder weil Sie in einer funktionierenden Immobilie arbeiten, die aber jetzt zu klein wird und ein paar Neuheiten vermissen läßt? Sie haben die finanziellen Mittel, um was Richtiges zu machen? Sie zielen auf Kundschaft, die etwas Besonderes erwartet? Dann könnten Sie durchaus mal beim Architekten anrufen und sich überraschen lassen, wie kostenoptimal unter diesen Voraussetzungen eine maßgeschneiderte Lösung sein kann.

(Das Beitragsbild ist übrigens der Schnürboden einer Theater-Probebühne)

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